Geschichte der deutschen lutherischen Kirchen in Aserbaidschan (Exklusives Filmmaterial)

Aserbaidschan, das an der Schnittstelle zwischen Ost und West liegt, verfügt über ein reiches historisches und kulturelles Erbe. In verschiedenen Epochen der Geschichte wurde unser Land zur Heimat für eingewanderte Vertreter verschiedener Völker, Kulturen und Konfessionen. Multikulturalismus und Toleranz, die in Aserbaidschan jahrhundertealte Traditionen haben, sind wichtige Leitlinien der Staatspolitik und spielen im Leben der aserbaidschanischen Gesellschaft eine große Rolle.
Der sorgfältige Umgang mit dem historischen Erbe sowie die Erhaltung und Restaurierung von Denkmälern der deutschen Kultur in der Republik auf staatlicher Ebene sind ein Paradebeispiel für die Politik des Multikulturalismus und der Toleranz. Die Umsiedlung der Deutschen und ihre Ansiedlung auf dem Gebiet Aserbaidschans reichen bis in die ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts zurück. Zwischen 1816 und 1818 siedelte sich eine Gruppe deutscher Bauern im Südkaukasus an. In Aserbaidschan entstanden deutsche Siedlungen – Helenendorf, Annenfeld, Georgsfeld, Alexejewka, Grünfeld, Eigenfeld, Traubenfeld und Jelisawetinka – hauptsächlich in den Bezirken Göygöl, Schamkir, Gazach, Tovuz und Agstafa. Die deutsche Gemeinde ließ sich auch in Baku nieder.
Karte der deutschen Siedlungen
In jenen Jahren entstanden deutsche Schulen, Gemeinschaftsprojekte und natürlich lutherische Kirchen. Die ersten lutherischen Kirchen wurden nach den Entwürfen der deutschen Architekten A. Eichler und F. Lehmkuhl errichtet. Der Helenendorf- Hochschullehrer, F. Zimmer, betonte: „Die Gemeindemitglieder halten sich sehr streng an die kirchlichen Riten. Sie versäumen selten einen Gottesdienst und betrachten jeden, der nicht zur Kirche geht, mit Vorurteilen. Sobald die Glocken läuten, strömen alle Familienmitglieder zur Kirche.“
Mit der Zunahme der Siedlungs- und Einwohnerzahl wurde es notwendig, an verschiedenen Orten Aserbaidschans religiöse Gebäude zu errichten.
Im Jahr 1817 kamen mit Erlaubnis von Kaiser Alexander I. mehrere hundert Familien aus Schwaben, die sich zum Luthertum und Pietismus bekannten, in den Südkaukasus. 120 von ihnen kamen nach Aserbaidschan und gründeten hier die Siedlung Helenendorf (Göygöl). Mit ihrer Gründung begann die Tätigkeit der lutherischen Gemeinde. Die ersten religiösen Zeremonien wurden unter der Leitung des Schullehrers Jacob Kraus durchgeführt. Später, im Jahr 1832, wurde ein Pfarrer aus Hannover hierher eingeladen.
Deutsche Kirche in Helenendorf (Göygöl)
1854 wurde beschlossen, für die lutherische Gemeinde eine Kirche aus Stein zu errichten. Am 24. April desselben Jahres wurde der Grundstein für die Kirche gelegt. Die Arbeiten dauerten drei Jahre, und am 10. März 1857 fand die Weihe der neuen Kirche statt, die den Namen St. Johannes-Kirche erhielt und damit die erste lutherische Kirche in Aserbaidschan war. Georg Heinrich Reitenbach wurde der erste Pfarrer. Die im neugotischen Stil erbaute Kirche war mit einer Orgel der Firma „E.F. Walcker & Cie.“ aus Ludwigsburg ausgestattet. Die aus rotem Stein erbaute Kirche verfügt über einen Glockenturm, 16 große und 2 kleine Fenster sowie zwei Eingangstüren. Fenster, Türen und Decke sind aus Holz, der Boden besteht aus Ginsterziegeln und das Dach ist mit Ziegeln gedeckt.
Nach der Unabhängigkeit Aserbaidschans im Jahr 2001 wurde die Kirche in die Liste der unbeweglichen Denkmäler der Geschichte und Kultur aufgenommen. 2008 wurde das Gebäude gründlich renoviert. Heute steht die lutherische Kirche nicht nur als eines der historischen Symbole des Bezirks Göygöl, sondern auch als Beispiel aserbaidschanischer Multikulturalität unter Denkmalschutz. Seit 2004 dient dieses architektonische Denkmal als Museum für Bezirksgeschichte und Heimatkunde. Im Inneren des Gebäudes befindet sich eine besondere Ecke, die die Lebensweise der Deutschen und die Geschichte des Weinbaus widerspiegelt.
Deutsche Kirche in Göygöl
Die lutherische Kirche in Jelisawetpol (Gandscha) wurde 1885 mit Spenden aserbaidschanischer Muslime für Einwanderer aus Deutschland erbaut. Interessanterweise wurde das Gebäude im eklektischen Stil aus Tuffstein errichtet. Die Gesamtfläche beträgt ca. 650 Quadratmeter. Am 18. September wurde die Kirche in einem der großen Säle des Männergymnasiums von Jelisawetpol eröffnet und im Laufe der Zeit erweitert.
Im Inneren ist das Gebäude in eine zentrale Halle und ein Foyer unterteilt. Es wurde im romanisch-gotischen Stil erbaut und zeichnete sich durch Einfachheit und Ausdruckskraft, eine gelungene Standortwahl und einen Verzicht auf viel Luxus und Raffinesse aus, was typisch für religiöse Gebäude des lutherischen Glaubens war. Die Deutsch-Lutherische Kirche fungierte in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg als kulturelles Zentrum von Gandscha. Seit 1986, als das staatliche Puppentheater von Gandscha gegründet wurde, werden hier Aufführungen für Kinder aufgeführt.
Lutherische Kirche in Gandscha
Die Erlöserkirche in Baku, auch als Lutherische Kirche bekannt, wurde vom Architekten Adolf Eichler im neugotischen Stil entworfen und befindet sich im Herzen Bakus. Es wird angenommen, dass Eichler von der Elisabethkirche in Marburg inspiriert wurde.
Lutherische Kirchen in Baku und Marburg
Der Spatenstich fand unter Beteiligung der Vorsitzenden der Stadtduma von Baku am 21. März 1896 statt. An der Einweihungszeremonie am 14. März 1899 nahmen mehr als tausend Menschen teil, darunter der berühmte Ölmann Emanuel Nobel (Sohn von Ludvig Nobel – Erfinder, Unternehmer und Philanthrop, später einer der Gründer des Nobelpreises), seine Stiefmutter und die zweite Frau von Ludvig Nobel.
Am 24. Juni 1898 wurde auf dem Turm des Gebäudes ein 213 Kilogramm schweres vergoldetes Kreuz errichtet. Anfang 1899 wurden die Kirchenglocken und die Orgel installiert. Am 23. April 1900 fand das erste Orgelkonzert statt, bei dem Werke von Johann Sebastian Bach aufgeführt wurden.
Interessanterweise erhielt der sowjetische Bildhauer Pinhos Sabsay einige Zeit nach der Ermordung des ehemaligen Ersten Sekretärs des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Aserbaidschanischen SSR, Sergej Kirow, im Jahr 1934 den Auftrag, in Baku ein Denkmal für Kirow zu errichten. Er brauchte einen Raum mit sehr hohen Decken, in dem er die Skulptur und ihren Sockel aufstellen konnte. Sabsay bat die Kirche um eine Werkstatt. Obwohl damals der Abriss der Kirche angeordnet wurde, wurde Sabsay die Erlaubnis erteilt.
Nach den im Auftrag des Staatsoberhauptes durchgeführten Reparatur- und Restaurierungsarbeiten wurde 2010 im Gebäude der ehemaligen lutherischen Kirche in Baku der nach Muslim Magomayev benannte Kammer- und Orgelsaal der Aserbaidschanischen Staatsphilharmonie im Beisein des aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Aliyev und der First Lady Mehriban Aliyeva eröffnet. In diesen Jahren fanden hier regelmäßig verschiedene Konzertprogramme, auch mit ausländischen Künstlern, und kreative Abende statt.
Lutherische Kirche in Baku – Vergangenheit und Gegenwart
Lutherische Kirche in Baku
Die lutherische Kirche in Annenfeld (Schamkir) wurde 1909, ebenfalls im neugotischen Stil, mit Spenden der Kaufleute Johann Beppl und Johann Beck erbaut. Architekt war Ferdinand Lehmkuhl. Die Einweihung im Jahr 1911 erfolgte durch Baron von Engelhardt, Oberpfarrer der transkaukasischen evangelisch-lutherischen Gemeinden. Während der Sowjetzeit diente das Gebäude als Kulturhaus, Lehrerhaus und seit den 1980er Jahren als historisch-ethnografisches Museum. Nach der Wiedererlangung der Unabhängigkeit Aserbaidschans wurde das Kirchengebäude in die Liste der historischen und kulturellen Denkmäler aufgenommen. Ein Museum, das die Lebensgeschichte der deutschen Gemeinde beschreibt und interessante Fotografien und Haushaltsgegenstände präsentiert, wurde eingerichtet.
In den Jahren 2012–2013 wurde die Kirche auf Initiative des aserbaidschanischen Ministeriums für Kultur und Tourismus gründlich rekonstruiert. Es wurde eine Orgel installiert, die anhand erhaltener Zeichnungen nachgebaut wurde und nun bei festlichen Anlässen von Lehrern der örtlichen Musikschule gespielt wird. Die sorgfältig restaurierte Kirche hat ihre frühere Schönheit und Eleganz wiedererlangt. Die im Rahmen des Projekts „Aserbaidschan – Adresse der Toleranz“ der Heydar-Aliyev-Stiftung durchgeführten Wiederaufbauarbeiten sind ein weiterer Indikator für die Mission, die historische Vergangenheit sowie die religiösen und kulturellen Werte unseres Staates zu bewahren. Im Jahr 2013 machte sich Präsident Ilham Aliyev mit dem restaurierten Gebäude der deutschen lutherischen Kirche in Schamkir vertraut.
Lutherische Kirche in Schamkir
Das deutsche Kulturerbe in Aserbaidschan wird vom Staat sorgfältig geschützt. Multikulturalismus und Toleranz, die in Aserbaidschan eine jahrhundertealte historische Tradition haben, sind wichtige Richtungen der Staatspolitik und spielen im Leben der aserbaidschanischen Gesellschaft eine große Rolle.